Die Volvo-Chronik
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Von Christoph Büch (Berlin 2024)
Erste Dieselmotoren
In den Dreißigern fuhren Volvo-Lastwagen mit den bewährten, aber durstigen Benzin- und Hesselman-Rohöl-Motoren. In den Jahren des Zweiten Weltkriegs bot Volvo auf Holzgas umgerüstete Motoren an. Deren Leistung konnte jedoch mit Motoren, die durch Flüssig-Kraftstoff betrieben wurden, nicht mithalten. Unweigerlich zeichnete sich eine neue Aufgabe ab: die Konstruktion von Dieselmotoren.
Während des Kriegs baute Volvo mit dem Haubenwagen TVB und dem Frontlenker TVC spezielle Allrad-Fahrzeuge für das Militär, von denen einige hundert Exemplare produziert wurden. Erwähnenswert ist auch der leichte „Gelände-Personentransporter“ TPV mit einem Gesamtgewicht von 2,8 Tonnen.
Bei der Entwicklung von Diesel-Motoren in den vierziger Jahren entschieden sich die Göteborger Ingenieure für das Vorkammer-Verfahren, denn es versprach einen weicheren Lauf und verursachte weniger Abgase als der Direkteinspritzer. 1946 war es soweit: Volvo-Lastwagen konnten nun mit den 100-PS-Dieselmotoren VDA und VDB (130 PS) ausgerüstet werden. Äußerlich unterschieden sich die Diesel-Fahrzeuge von den Benzinern nur durch eine „Diesel“-Plakette am Grill.
Vier Jahre später vollzog Volvo dann doch den Schritt zum Direkteinspritzer. Kaltstart-Probleme hatte man inzwischen durch eine Vorwärm-Einrichtung gelöst und auch einen ruhigen Lauf hatten die Ingenieure in den Griff bekommen. Im Jahr 1950 wurde also ein Direkt-Einspritzer mit der Bezeichnung VDC eingeführt und geriet sehr schnell zur Standard-Motorisierung. Bei Verbrauch, Zuverlässigkeit und Lebensdauer war er gegenüber den Vorkammer-Versionen eindeutig im Vorteil.
Die fünfziger Jahre
Die erste Lkw-Neuentwicklung nach dem Krieg war 1950 der L 34 in der Gewichtsklasse von 2,7 bis 5,2 Tonnen, der die seit 1939 gebauten Spitznasen ablöste. Im Design war er fast ein Zwilling des erfolgreichen Personenwagens PV 444, nur größer. Unter der Haube arbeitete die bewährte Vorkriegstechnik mit Benzinmotor und umsynchronisiertem Vierganggetriebe. Bis zum Jahr 1958 fanden rund 7.000 Exemplare ihre Abnehmer.
Danach wurden die Rundnasen in den schweren Gewichtsklassen abgelöst. Der L 39 war 1951 der erste Volvo mit einem richtigen Namen: „Titan“. Diese Bezeichnung war durch einen öffentlichen Wettbewerb ermittelt worden. Die neu entworfene Haube behielt man unverändert bis 1973 bei, die darunter befindliche Technik änderte sich allerdings. Der Titan erhielt 1953 einen neu entwickelten 150-PS-Direkteinspritzer mit 9,6 Litern Hubraum und zunächst ein zugekauftes Getriebe von Spicer. Ab 1956 bot Volvo alternativ ein hauseigenes Getriebe mit Kriechgang und Overdrive an. Die zunächst hydraulische Bremsanlage ersetzte bald ein Druckluftsystem. Der Motor war konstruktiv schon auf einen Turbo vorbereitet. So kam 1954 eine 185-PS-Turbo-Version dazu. Es brauchte allerdings einige Zeit der Versuche und Erprobungen, bis die Abgas-Aufladung zuverlässig arbeitete. Das Ergebnis war überzeugend: Bei 25 Kilogramm Mehrgewicht und nur wenig mehr Kraftstoff-Verbrauch stieg das Drehmoment von von 59 auf 73 kpm. Für diese Leistungssteigerung hätte man ohne Turbolader einen Achtzylinder mit weit höherem Gewicht und Verbrauch benötigt. Die schwedischen Hersteller leisteten Pionierarbeit. Zum Beispiel brauchte die deutsche Konkurrenz etwas mehr als 20 Jahre, um hier Anschluss zu finden.
Der Titan-Produktion von 1951 bis 1959 belief sich auf knapp 20.000 Exemplare. In den Gewichtsklassen unter dem Titan wurde 1953 der „Viking“ in den Varianten L 385 und L 485 vorgestellt. Äußerlich gab es keine Unterschiede zum Titan, unter der Motorhaube arbeiteten aber kleinere Motoren von 100 bis 150 PS. Die Direkteinspritzer kombinierte man mit synchronisierten Getrieben und neuen Achsantrieben wie der „Norrland“-Doppelachse nach Eaton-Lizenz. Die Geamtstückzahl der Viking-Baureihe von 1953 bis 1965 betrug 40.238 Exemplare. Zu den zahlenmäßig noch weit überlegenen Haubern kam 1954 ein Frontlenker mit der Bezeichnung L 3851 Viking hinzu. Sein rundliches, nicht kippbaren Fahrerhaus lieferten externe Karosseure. Die Stückzahlen blieben gering: Bis 1962 erblickten nur 370 dieser Frontlenker das Licht der Welt.
Für das Militär entwickelte Volvo in den fünfziger Jahren einen Nachfolger des Modells TPV nach dem gleichen Muster: leichtes Lkw-Fahrgestell mit Allradantrieb und modifizierter Pkw-Karosserie. Der TP 21 wurde als "Sau“ bekannt und in etwa 700 Exemplaren an die schwedische Armee geliefert. Die Artillerie-Zugmaschine TL 31 erhielt den 9,6-Liter-Dieselmotor des Titan mit 150-PS. Dieses 6x6-Fahrzeug wurde in 920 Exemplaren gebaut und ist noch heute bei den schwedischen Streitkräften im Einsatz.
Mitte der fünfziger Jahre erneuerte Volvo seine Mittelklasse-Modelle. Die Haube des Modells L 34 wurde vergrößert, um Platz für die stärkeren Motoren in der 8- bis 12-Tonnen-Klasse zu schaffen. Die Modelle L 360 und L 365 sowie L 370, L 375 und 475 (Die 0 stand für Benzin-, die 5 für Dieselmotoren) erhielten nun auch Namen: Brage, Starke und Raske. Benzin- und Dieselmotoren von 90 bis 120 PS waren im Angebot. Bis Mitte der sechziger Jahre wurden sie erfolgreich produziert, wenn auch mit einigen technischen Änderungen, etwa dem Ersatz des unsynchronisierten Viergang-Getriebes durch ein synchronisiertes ZF-Getriebe. Zunehmend gingen diese Fahrzeuge auch in außereuropäische Länder. Im Internet kursieren Fotos aus Malaysia und Südamerika, auf denen sie zum Beispiel beim Transport schwerer Holzladungen zu sehen sind, ein Beleg für die robuste Bauart von Rahmen und Achsen. Bis Mitte der sechziger Jahre belief sich die Gesamtproduktion von Brage, Starke und Raske auf mehr als 30.000 Einheiten. Ab 1965 erhielten sie einen den größeren Modellen angepassten Kühlergrill mit senkrechten Streben und die Typenbezeichnungen N 84 und N 85.