Die Volvo-Chronik

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Von Christoph Büch (Berlin 2024)

1965 kam der F 88 heraus, seine 6x4-Version hieß FB 88. Er hatte das Fahrerhaus des Titan TipTop, aber eine neu entwickelte Antriebstechnik. Der Dieselmotor mit 9,6 Litern Hubraum leistete nun in der Saugversion 166 bis 200 PS, als Turbo 260 PS. Hinzu kamen ein neues Achtgang-Getriebe sowie stärkere Achsen und Rahmen. Schon zu Beginn der sechziger Jahre wurden 75 Prozent aller verkauften Motoren mit Turbo geliefert. Die Schweden hatten auch hier europaweit eindeutig die Nase vorn. Die neue Technik gab es auch beim Hauber mit der Typenbezeichnung N 88. Beide Bauformen erfreuten sich schon bald großer Beliebtheit und wurden bis 1977 produziert. Kleine Unterschiede kennzeichnen die verschiedenen Generationen des F 88: Bis 1966 befanden sich kleine waagerechte Blinker unter der Windschutzscheibe, bis 1968 waren sie über den Scheinwerfern angebracht und ab 1969 vergrößerten sie sich und waaren senkrecht an den Fahrzeugkanten platziert. Auch die Haltegriffe unter der Windschutzscheibe machten einige Positionswechsel durch. Von 1973 bis 1977 hatte der F 88 einen schwarzen Kunststoffgrill anstelle des Metallgitters der Vorgänger.

Die Stückzahl der von 1965 bis 1973 hergestellten Haubenfahrzeuge belief sich auf rund 20.000 Einheiten, die der Frontlenker war nahezu doppelt so hoch: mehr als 40.000 Frontlenker des Typs F 88 verließen von 1965 bis 1977 die Fabrikanlagen in Göteborg.

Nicht umsonst hat der F 88 den Status eines legendären Fernverkehrs-Lkw erlangt, denn er war nicht nur optisch imposant, sondern hatte es auch technisch in sich. Das Foto von 1980 zeigt einen FB 88 aus dem Baujahr 1970, erkennbar am Haltegriff unter der Windschutzscheibe auf der Fahrerseite.
Diese Aufnahme entstand 2018 in Bogotá, Kolumbien. Wenn der F 88 heute noch existiert, hat er mindestens 50 Jahre auf dem Buckel. Stoßstange, Spiegel und Sonnenblende sind nicht original, aber sonst konnten die langen Dienstjahre dem alten Volvo offenbar nichts anhaben.

In den mittleren Gewichtsklassen stellte Volvo 1965 als Nachfolger des „Viking TipTop“ den Frontlenker Typ F 86 vor. Der entsprechende Haubenwagen war der N 86, der äußerlich dem Vorgänger glich, aber die neue Typenbezeichnung seitlich an der Haube trug. Beide erhielten einen neuen Dieselmotor mit 6,7 Litern Hubraum, der mit Turbo-Aufladung 200 PS erreichte. Entsprechend dem F 88 erhielten auch die Mittelklasse-Modelle ein Achtgang-Getriebe, allerdings kleiner dimensioniert. Abgesehen von der Einführung eines schwarzen Kunstoffgrills im Jahr 1973, wurde der F 86 äußerlich fast unverändert von 1965 bis 1979 in 40.796 Exemplaren produziert. Der Hauber N 86 kam von 1965 bis 1973 auf 12.785 Exemplare. Unterhalb des F 86 stellte Volvo 1965 als Nachfolger des L 475 „Raske“ den F 85 und als Hauber den N 84 vor. Sie deckten den Gewichtsbereich von 12 bis 15 Tonnen ab und waren hauptsächlich für den skandinavischen Markt vorgesehen. Motorisiert waren sie mit Dieselmotoren von 107 bis 180 PS. Ihre Stückzahlen betrugen knapp 17.000 beim Frontlenker (1965 bis 1978) und 7.822 beim Hauber (1965 bis 1972).

Ein F 85 in der Schweiz mit dem Metall-Kühlergrill der ersten Generation von 1965. Das Foto ist von 1978.
Diese Aufnahme von 1980 aus England zeigt einen F 86 der zweiten Generation von 1973 mit schwarzem Kunststoffgrill

Der F 86 war übrigens das Modell, mit dem Volvo der Einstieg in den britischen Markt gelang. Allerdings veranlasste nicht Volvo selbst den Export der ersten Einheiten nach Großbritannien, sondern die schottischen Unternehmer Jim McKelvie und Jim Keyden. Ihre Erfahrungen mit britischen Lkw-Herstellern und deren Haltung den Kunden gegenüber waren offenbar wenig zufriedenstellend. Sie wandten sich deshalb an Volvo, um mit den Schweden ein gut funktionierendes Händler- und Servicenetz in England aufzubauen. 1967 entstand in Barrhead bei Glasgow das damals noch junge Unternehmen Ailsa Trucks, mit dem die Basis für die Volvo-Präsenz in Großbritannien geschaffen war. Durch Import des F 86 konnten McKelvie und Keyden mit einem Qualitätsprodukt punkten, dessen Verkauf sie durch einen modern gestalteten Service optimierten. Der bestand aus einem umfassenden Kundendienstnetz, schneller Ersatzteillieferung sowie einer Notruf-Telefonnummer für Fahrer. Der neue Servicestandard und die hohe Qualität der Volvo-Fahrzeuge überzeugten die Briten. Von 165 Einheiten im Jahr 1967 stiegen die Verkaufszahlen auf 2000 Fahrzeuge im Jahr 1972, dem Jahr, in dem Volvo ein Montagewerk im schottischen Irvine eröffnete. Drei Jahre später war Volvo englischer Marktführer im Bereich schwerer Sattelzugmaschinen. Interessant ist eine britische Version des F 86 mit Doppelscheinwerdern.

Den F 86 mit Doppelscheinwerfern im Kunststoffgrill gab es nur in Großbritannien. Die Aufnahme des Vierachsers dürfte um 1975 entstanden sein.

Ende der sechziger Jahre stieg in Europa der Bedarf an Lastwagen mit höherer Leistung in den schweren Klassen. Im Gegensatz zu vielen anderen Herstellern blieb Volvo beim Reihensechszylinder mit Abgas-Aufladung. Im Herbst 1970 wurde das Lkw-Modell F 89 vorgestellt. Sein Fahrerhaus stammte vom F 88, hatte aber einen breiteren Kühlergrill aus schwarzem Kunststoff. Sein neu entwickelter 12-Liter-Motor leistete mit Turbo 330 PS und war bei Drehmoment und Verbrauch den sonst üblichen groß dimensionierten Saugmotoren überlegen. Gekoppelt war dieser Motor an ein weit gespreiztes 16-Gang-Getriebe. Mit diesem Antriebsstrang war Volvo Vorreiter in Europa. In den Folgejahren setzte sich diese Technik auch bei allen anderen Herstellern durch. Der F 89 wurde von 1970 bis 1978 nahezu unverändert in mehr als 21.000 Exemplaren produziert. In manchen Ländern wurde er auch mit einem 8x4-Fahrwerk angeboten und in Austalien und anderen Ländern gab es die schweren Frontlenker als G 88 und G 89 mit weiter vorne platzierter Vorderachse. In den Siebzigern entwickelte Volvo den CH 230, eine spezielle Variante mit leichteren Achsen für den Schweizer Markt. Das Fahrzeug erhielt schmalere Kotflügel, denn die maximal zulässige Fahrzeugbreite betrug damals in der Schweiz 230 Zentimeter.

Nachfolger des F 88, den es seit 1965 gab, war der F 89, der ab 1970 die Volvo-Typenpalette anführte. Wobei "Nachfolger" nicht der richtige Begriff ist, denn beide Typen wurden von Volvo bis 1978 parallel angeboten.
Nach vorne versetzte Vorderachsen kennzeichneten die Modelle G 88 und G 89 als Varianten der Baureihen F 88 und F 89. Der längere Radstand ermöglichte es dem Lkw, die australischen Vorschriften für Brückenbelastungen zu erfüllen.
Für die Schweiz baute Volvo von 1976 bis 1979 eine nur 2,30 Meter breite Variante des F 89. Das Fahrzeug mit der Modellbezeichnung CH 230 hatte weniger weit ausladende Kotflügel und erfüllte damit die gesetzlichen Vorgaben, die die maximale Fahrzeugbreite von Lastwagen in dem Alpenland noch bis Anfang der 1990er Jahre begrenzten.