Die Scania-Chronik
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Von Christoph Büch und Steve St.Schmidt (Berlin 2023)
Die Anfänge
Im Jahr 1891 gründeten der Ingenieur Philip Wersén und Major Peter Petersson, der Disponent des Hüttenwerks Surahammars Bruk die „Vagnfabriks Aktiebolaget i Södertelge“ (Waggonfabrik Aktiengesellschaft in Södertälje), kurz VABIS. Standort war die schwedische Stadt Södertälje, knapp 40 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Stockholm. Zunächst standen Eisenbahnwaggons auf dem Produktionsprogramm, denn der Schienenverkehr galt allgemein als wichtigste Errungenschaft der Zeit. Im Rekordjahr 1900 baute Vabis insgesamt 323 Waggons. Allmählich ebbte der Eisenbahnboom jedoch merklich ab und man suchte nach neuen Geschäftsfeldern. Eine große Zukunft versprach der Bau von Straßenfahrzeugen.
Bereits 1897 entwickelte der Ingenieur Gustaf Erikson im Auftrag von Vabis in Surahammar das erste Auto, das A-Car. Das viersitzige Fahrzeug ist bis heute erhalten geblieben und kann im Tekniska Museum in Stockholm besichtigt werden. Erikson stieg bei Vabis ein, weitere Automobile folgten. 1902 rollte der erste Lastwagen aus den Werkshallen. Der Anderthalbtonner hatte einen Zweizylinder-Boxermotor mit 9 PS Leistung und erreichte eine Geschwindigkeit von 12 Stundenkilometern. 1906 wurde Vabis als Warenzeichen eingetragen. Die Produktion von Straßenfahrzeugen verlief zunächst erfolgreich, und 1907 baute Surahammars Bruk in Södertälje eine neue Fabrik für Automobile sowie Industrie- und Schiffsmotoren.
1908 entstand dort ein neuer Dreitonner mit 20-PS-Motor, der 1909 beim internationalen Lastwagenwettbewerb des Königlichen Automobilclubs in Schweden die Goldmedaille gewann. Doch der Absatz der Lastwagen ließ zu wünschen übrig. Jährlich wurden nur fünf Fahrzeuge verkauft, obwohl man bei Vabis mit dem Zehnfachen gerechnet hatte.
Etwa zur gleichen Zeit, nämlich 1902, baute der zwei Jahre zuvor gegründete Fahrradhersteller "Maskinfabriks-aktiebolaget Scania" (Maschinenfabrik Aktiengesellschaft Scania) auf der Insel Malmö seinen ersten Lastkraftwagen, nachdem er bereits mit der Produktion von Personenkraftwagen begonnen hatte. Die Konstruktion des Lastwagens ähnelte der des Vabis-Lastwagens. Der Serienbau von Nutzfahrzeugen begann bei Scania 1908. Scania ist der lateinische Name der historischen Provinz Schonen (heute Skåne län) im Süden Schwedens.
Gemeinsam stärker
Die Produktionszahlen beider Unternehmen waren zunächst relativ gering. Vabis hatte inzwischen mit finanziellen Problemen zu kämpfen, da auch das Geschäft mit Schienenfahrzeugen kaum noch Einnahmen brachte. Als der erste Geschäftsführer von Scania, Per Alfred Nordeman, in diesen Jahren einen Kooperationspartner suchte, führten Gespräche mit dem Vorstand des Hüttenwerks Surahammars Bruk, der bereits im Begriff war, sein Vabis-Werk mangels Kunden zu schließen, zum Erfolg. 1911 wurde ein gemeinsames Unternehmen gegründet, die Scania Vabis AB, zunächst mit Sitz in Malmö, ab 1912 in Södertälje. Dort wurden nun Motoren und Personenwagen gebaut, in Malmö die Nutzfahrzeuge. Bis Ende 1911 produzierte der neue Hersteller 40 Personenwagen und 30 Lastwagen. Auch ein erster Omnibus wurde gebaut und 1912 das erste Löschfahrzeug auf Lastwagenbasis. Das Fahrzeug ging an die Feuerwehr von Norrköping, wo es sich hervorragend bewährte. Später schafften auch die Feuerwehren von Helsingborg und Södertälje Scania-Vabis-Fahrzeuge an.
Die Lastwagen hatten eine Nutzlast von eineinhalb bis zwei Tonnen und wurden von Benzinmotoren mit 20 bis 30 PS angetrieben; die Typenbezeichnungen lauteten Clb und Clc. Zwischen 1911 und 1925 verließen insgesamt 360 Exemplare das Werk. Auf diese Produktionszahl war man zu Recht stolz. Sie zeigt aber auch, wie bescheiden die Anfänge einer Lastwagenschmiede waren, die sich später zu einem der führenden Nutzfahrzeughersteller der Welt entwickeln sollte.
1914 stellte Scania-Vabis eine neue Motorenbaureihe vor, die bis Mitte der 1920er Jahre produziert wurde. August Nilsson, ein junger Ingenieur, hatte das neue Antriebsaggregat entwickelt. Er wurde 1915 Chefingenieur und leitete die Konstruktionsabteilung von Scania-Vabis mehr als 30 Jahre lang.
In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg geriet das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten, die 1921 zum Konkurs führten. Billige Importe von Fahrzeugen aus Massenproduktion hatten den schwedischen Markt überschwemmt. Gegen diese Konkurrenz hatte Scania-Vabis kaum eine Chance. Dennoch erfolgte kurz darauf eine Neugründung unter gleichem Namen. Im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen wurde das Fahrzeugwerk in Malmö geschlossen und die gesamte Produktion nach Södertälje verlegt. Neuer Geschäftsführer wurde Gunnar Lindmark, der zusammen mit dem Chefingenieur August Nilsson das Unternehmen lange Zeit erfolgreich leitete und für beste Qualität der Produkte sorgte.
Die Größenordnung der Produktion war Anfang der zwanziger Jahre allerdings noch überschaubar. Neben der Produktion von Personenkraftwagen stellten etwa 500 Mitarbeiter jährlich 40 bis 180 Lastkraftwagen und ab 1923 auch 20 bis 100 Omnibusse her. In diese Zeit fällt auch die Einführung der Luftbereifung und des Kardanantriebs.
1925 stellte Scania-Vabis den so genannten „Schnell-Lastwagen“ vor. In der Gewichtsklasse von eineinhalb bis drei Tonnen sorgten Benzinmotoren mit bis zu 50 PS für eine Spitzengeschwindigkeit von 40 Stundenkilometern. Einer dieser Schnell-Laster mit der Typenbezeichnung 3251 hat bis heute überlebt. Als Brauereifahrzeug legte er bis Ende der fünfziger Jahre 800.000 Kilometer zurück. Das Fahrzeug kehrte 1965 zum Hersteller zurück, nahm 1967 erfolgreich an der Rallye London-Brighton teil und erhielt eine Auszeichnung für die weiteste Anreise.