Die Scania-Chronik

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Von Christoph Büch und Steve St.Schmidt (Berlin 2023)

Konzentration auf Nutzfahrzeuge

1927 erwirtschaftete das Werk endlich einen bescheidenen Gewinn. Und es wurde der erste Sechszylindermotor vorgestellt, der aus 5,8 Litern Hubraum je nach Kraftstoffqualität 75 bis 90 PS leistete.  Ende der zwanziger Jahre konzentrierte sich Scania-Vabis ganz auf die Produktion von Nutzfahrzeugen. Der letzte Pkw verließ 1929 das Werk in Södertälje. Gleichzeitig gewann die Omnibusproduktion an Bedeutung. Die Verkehrsbetriebe mehrerer schwedischer Städte, darunter Stockholm, kauften Busse von Scania-Vabis.

Um gegenüber dem aufkommenden Dieselmotor konkurrenzfähig zu bleiben, griff Scania Vabis auf die Entwicklung des schwedischen Erfinders und Ingenieurs Knut Jonas Elias Hesselman zurück, dessen Motorkonstruktion eine Kombination aus Diesel- und Benzinmotor darstellte. Der Hesselman-Motor arbeitete wie ein gewöhnlicher Vergaser-Motor, hatte aber eine direkte Benzineinspritzung. Er war leichter als ein Dieselmotor und verbrauchte weniger Kraftstoff als ein herkömmlicher Benzinmotor. Die Hesselman-Sechszylinder mit 6,5 bis 7,8 Litern Hubraum leisteten 70 bis 115 PS. Scania-Vabis trieb damit von etwa 1925 bis 1936 Nutzfahrzeuge an. Auch der Konkurrent Volvo verwendete Hesselman-Motoren.

Die letzte Achse dieses Dreiachsers von 1933 war eine Nachlaufachse

Die Wirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre führte zu einem erneuten Produktionsrückgang um 60 Prozent. Dennoch verlor man die Entwicklung im Nutzfahrzeugbau nicht aus den Augen. In den folgenden Jahren entwickelten die Ingenieure in Södertälje die ersten Fahrzeuge ohne Motorhaube, die so genannten „Bulldogs“. Das Fahrerhaus wurde um den Motor herum gebaut und bot so mehr Nutzfläche für Güter und bei Omnibussen für mehr Fahrgäste. Aber die Zeit war noch nicht reif und die Bulldogs blieben Außenseiter. Bis etwa 1940 wurden 868 Haubenlastwagen verkauft, aber nur 87 Frontlenker (nach anderen Quellen waren es 62 Exemplare), also nur etwa zehn Prozent der Kunden ließen sich für die fortschrittliche Bauform ohne Motorhaube begeistern.

Die ersten Frontlenker von Scania aus den frühen 1930er Jahren waren ein fortschrittliches Konzept, auch wenn die Resonanz bei den Kunden begrenzt war. Das abgebildete Exemplar vom Typ 3651 aus dem Jahr 1933 war mit einem Aufbau für den Transport von Chemikalien ausgestattet. Auftraggeber war die AB Förenade Superfosfat Fabriker.
Ende der 1930er Jahre hatten die wenigen Scania-Vabis-Frontlenker nicht mehr die hervorstehenden Kühler der ersten Bauform. Der abgebildete Dreiachser von 1937 (Typ 345) konnte fünfeinhalb Tonnen Nutzlast transportieren und war bei der Kungsörs Trafik AB im Einsatz.

Die Hesselman-Motoren erwiesen sich zunehmend als problematisch. Rußablagerungen gaben Anlass zu Beanstandungen. Scania-Vabis entschloss sich daher, Dieselmotoren zu produzieren, nachdem es zunächst erhebliche Einwände gegen die recht rau laufenden Direkteinspritzer gegeben hatte. Vorkammer-Diesel liefen dagegen deutlich ruhiger und überzeugten schließlich auch die Verantwortlichen in Södertälje. 1935 schloss Scania Vabis einen Lizenzvertrag mit der deutschen Firma Humboldt-Deutz über die Produktion von Vorkammer-Dieseln ab. Ein nach dieser Lizenz neu entwickelter 7,8-Liter-Motor leistete 120 PS bei 2000 Umdrehungen pro Minute. Der Motor wog 600 Kilogramm. Nach Bewältigung einiger Kinderkrankheiten bewährte sich der neue Motor.

Nach Überwindung der Rezession brachten die 1930er Jahre für Scania-Vabis einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Der Umsatz stieg von 4,7 Millionen Kronen im Jahr 1932 auf 10 Millionen Kronen im Jahr 1939, aber im Vergleich zu Volvo war Scania Vabis immer noch ein kleiner Hersteller. So wurden in Södertälje im Jahr 1938 insgesamt 103 Lkw und 189 Busse verkauft. Bei Volvo verließen im gleichen Jahr 2860 Lkw und 288 Busse das Werk.

1941 hatten die Lastwagen von Scania-Vabis bereits die auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch verwendete Motorhaubenform, nur dass der Kühler noch nicht durch eine Kühlermaske vor Blicken und Beschädigungen geschützt war. Im abgebildeten Fall eines Lkw-Typs 33518 musste ein Stück Pappe die Aufgabe übernehmen, den kalten Fahrtwind abzuhalten. Hinter dem Fahrerhaus befand sich ein Holzgasgenerator der Marke Janka.

Während des Zweiten Weltkriegs mussten 90 Prozent aller schwedischen Nutzfahrzeuge auf Holzgas umgestellt werden. Bei Scania-Vabis wurde ein Achtzylindermotor mit 10,3 Litern Hubraum entwickelt, der aber wegen des schlechten Wirkungsgrades der Holzgasverbrennung nur 120 PS leistete.

Ab 1944 bot Scania-Vabis die zweiachsigen Lastwagenmodelle L 10 (4x2) und F 10 (4x4) an. Als Antrieb diente ein 5,7-Liter-Vorkammerdiesel mit 90 PS. Eine Vergaserversion mit gleichem Hubraum leistete 105 PS. Erstmals schützte ein Kühlergrill mit senkrechten Streben den bisher nicht abgedeckten Kühler. Von 1944 bis 1949 wurden insgesamt 2398 Exemplare gebaut.

Diese Abbildung stammt aus einem 1945 gedruckten Prospekt von Scania-Vabis. Zu sehen ist das erste Nachkriegsmodell mit der Typenbezeichnung L 23.

Neue Produkte nach dem Zweiten Weltkrieg

Sehr bald nach Kriegsende wurde die Produktionspalette erweitert. Noch 1945 stellte Scania-Vabis neue Modelle vor: Der L 11 und seine Varianten L 12 und L 13 unterschieden sich durch unterschiedliche Radstände, der Antrieb erfolgte durch den bewährten Vierzylinder-Diesel mit 90 PS. Hinzu kamen der L 21 und seine Varianten L 22 und L 23 mit einem Sechszylinder mit 8,5 Liter Hubraum und 135 PS. Alle diese Lastwagen waren zweiachsig, ebenso die Allradversionen F 11 und F 12 mit Vierzylinder- und der F 21 sowie der F 22 mit Sechszylinder-Dieselmotor.

Die Zweiachser waren für ein Gesamtgewicht von elf Tonnen ausgelegt. Ein Dreiachser vom Typ LS 20 erreichte bis zu 15 Tonnen. Das „S“ stand beim Dreiachser für die Nachlaufachse. Als Antrieb diente ein Sechszylinder-Vorkammerdiesel mit 135 PS. Das zunächst unsynchronisierte Vierganggetriebe wurde nach einigen Jahren synchronisiert und mit einem optionalen Zusatzgetriebe erweitert, das die Gänge verdoppelte. Hydraulische Servobremsen waren serienmäßig. Scania-Vabis bot ein eigenes Fahrerhaus in blechverkleideter Holzkonstruktion an, auf Wunsch wurden die Lkw aber auch mit nacktem Fahrgestell ausgeliefert.

Die Omnibusproduktion blieb ein wichtiges Standbein des Unternehmens. Erwähnenswert ist beispielsweise das fortschrittliche Modell B 31 mit einem Achtzylinder-Dieselmotor mit 11,3 Litern Hubraum und 180 PS. Der Bus hatte eine selbsttragende Karosserie, ein halbautomatisches Lysholm-Smith-Getriebe und Bosch-Druckluftbremsen. Scania-Vabis-Busse wurden in den späten vierziger Jahren zunehmend exportiert.

Außerdem bemühte sich Scania-Vabis, nicht zuletzt auf Drängen der Händler, die Fahrzeugpalette zu erweitern. Man wollte auch Personenkraftwagen anbieten können. So gelang es, die Vertriebsrechte für die Produkte von Willys Overland und Volkswagen zu erwerben. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Volkswagen waren für Scania-Vabis in den fünfziger Jahren sehr wichtig. Die Verkaufszahlen von Willys Overland waren weniger überzeugend und die Geschäftsbeziehung hielt nicht lange. Für Volkswagen blieb Scania-Vabis jedoch bis 1968 der schwedische Generalvertreter.

Ein Prospekt von Scania-Vabis aus dem Jahr 1951 enthält diese detaillierte Grafik eines Fahrgestells vom Typ L 63, der zur Baureihe 60 gehörte. Viele Lkw wurden ohne Fahrerhaus bestellt und von externen Karosseriebauern mit Fahrerhaus und Aufbau versehen.

Der Bedarf an stärkeren und sparsameren Motoren führte bei Scania-Vabis zu einer Abkehr vom Vorkammerdiesel. Im Jahr 1947 wurde mit der englischen Firma Leyland-Motors ein Abkommen über den Austausch von technischem Know-how geschlossen. Damit erhielt man Zugang zum Prinzip der Direkteinspritzung. Bereits 1949 konnten die ersten Motoren dieser modernen Bauart vorgestellt werden. Die neue Motorenfamilie bewährte sich schnell. Das Spektrum reichte von 5,6 Litern Hubraum und 90 PS bis zu 12,6 Litern Hubraum und 200 PS. Durch Verbesserungen am Brennraum und am Einspritzsystem der englischen Motoren gelang es Scania-Vabis sogar, das Vorbild zu übertreffen. Wichtige Lkw-Modelle dieser Zeit waren ab 1949 der Typ L 40 für 9 bis 10 Tonnen Gesamtgewicht, der L 60 für 10 bis 12 Tonnen und der LS 60 für 16 Tonnen, weitere Modelle mit höheren Kapazitäten und ansteigenden Typenbezeichnungen folgten.  Man konnte nun langlebige Motoren anbieten, deren Wartungskosten niedriger waren als die von Leyland.


Wie öffnet man die Motorhaube?

Das neue Aggregat war deutlich langlebiger und sparsamer als der bisherige Vorkammerdiesel und erlangte als „400.000-Kilometer-Motor“ in der Transportbranche einen hohen Bekanntheitsgrad. Scania-Vabis belohnte die Besitzer mit einer Urkunde und einer Plakette für den Kühlergrill, wenn sie 400.000 Kilometer ohne Reparaturen zurückgelegt hatten. In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre konnten mehr als 1350 solcher Auszeichnungen vergeben werden, wobei die Lkw oft noch weitaus höhere Laufleistungen von über 600.000 Kilometern erreichten. Legendär war ein Telegramm an den Kundendienstleiter von Scania-Vabis: „Bin 400.000 Kilometer gefahren. Wie öffnet man die Motorhaube?“

Der LS 65, Baujahr 1950, mit individuell angefertigtem Fahrerhaus war für die Godstrafik Bilspedition (GBS) aus Kristianstad unterwegs. Man beachte den für Skandinavien typischen Einachsanhänger.
Diese Aufnahme entstand in Piraeus, Griechenland im Juli 1981, als der Scania-Vabis des Typs LS 65 etwa dreißig Jahre auf dem Buckel hatte.

Das Lkw-Programm der fünfziger Jahre begann mit der Baureihe L 40, angetrieben von einem Vierzylinder-Direkteinspritzer mit 5,7 Litern Hubraum. Serienmäßig war ein synchronisiertes Fünfganggetriebe, das auf Wunsch durch ein Zusatzgetriebe auf zehn Gänge erweitert werden konnte. Bei den Modellen L 60 und LS 60 kam ein Sechszylinder-Diesel mit 135 PS zum Einsatz. Das „S“ stand weiterhin für die Nachlaufachse der Dreiachser. 1951 produzierte Scania-Vabis auch fünf Exemplare des dreiachsigen Modells LS 85, das von einem Achtzylindermotor mit 8,5 Litern Hubraum angetrieben wurde. Es blieb bei diesen wenigen Einzelstücken, da sich die Gewichtsverteilung als ungünstig erwies - der lang gestreckte Motor war zu schwer im vorderen Bereich.

Dieser Typ L 61 war 1951 der erste Scania-Vabis-Lastwagen, der nach Uruguay geliefert wurde. Die Zulassung erfolgte in Montevideo. Stolz legt der Fahrer seine Hand auf den Kotflügel, während sein Chef (oder war es ein Kumpel?) etwas skeptisch auf den Fotografen blickt.

Der Export von Fahrzeugen gewann zunehmend an Bedeutung. Hauptabnehmer waren zunächst die skandinavischen Nachbarländer und die Benelux-Staaten, aber auch in den Nahen Osten gingen erhebliche Stückzahlen und zunehmend auch nach Lateinamerika. Bereits 1951 waren 25 Prozent der Produktion für den Export bestimmt. Auf dem Heimatmarkt konnte Scania-Vabis dem Konkurrenten Volvo mit einem Marktanteil von 40 bis 50 Prozent erfolgreich Paroli bieten. In der schweren Klasse lag der Marktanteil sogar bei 70 bis 75 Prozent.

Im Frühjahr 1953 bekamen die Modellreihen zum ersten (und letzten) Mal Namen. Der L 51 mit Vierzylinder-Diesel und 100 PS erhielt die Bezeichnung „Drabant“. Die Reihe L 71 / LS 71 mit 150-PS-Sechszylinder wurde „Regent“ getauft. Druckluftbremsen waren nun serienmäßig und ab 1955 gab es auch eine Servolenkung. Von 1954 bis 1958 wurden 7.800 Exemplare des Typs  Regent gebaut. Diese Lastwagen hatten noch die Hauben-Seitenteile der 1940er Jähre und freistehende Hauptscheinwerfer auf den Kotflügeln.

Dieser „Drabant“ der Baureihe L 51 war um 1958 in der Schweiz unterwegs. Schwer beladen mit einem Radlader (IHC Payloader) sollte der kleine Lastwagen seine Robustheit beweisen. Wir wünschen ihm nachträglich viel Glück bei seiner Fahrt von A nach B.