Alte Sowjet-Laster in Armenien

Roger Biosca auf Entdeckungsreise in einem fernen Land

Nur wenige Touristen aus Westeuropa machen sich auf den weiten Weg nach Armenien. Dabei wartet das Land nur darauf, entdeckt zu werden – mit großer Offenheit und Gastfreundschaft, gutem Essen und einer optimistischen Zukunft. Roger Biosca hat die Herausforderung angenommen und sich mit seiner Kamera auf den Weg gemacht, um nicht nur die offiziellen Sehenswürdigkeiten, sondern auch die alten sowjetischen Lastwagen, die dort noch immer anzutreffen sind, abzulichten.

Nach fast 70 Jahren als Teil der Sowjetunion erlangte Armenien im Jahr 1991 die Unabhängigkeit und wurde eine eigenständige Republik. Das Land ist mit einer Fläche von knapp 30.000 Quadratkilometern fast so groß wie Belgien und hat rund drei Millionen Einwohner. Ein Drittel davon lebt in der Hauptstadt Jerewan (Eriwan). Armenien ist von Gebirgen geprägt, da etwa 90 Prozent seiner Fläche auf einer Höhe von mehr als 1000 Metern liegen. Das Land grenzt an die Ost-Türkei und liegt zwischen Georgien und dem Iran.

Die Geschichte Armeniens zeugt von einer außergewöhnlich alten Zivilisation. Bereits im 7. Jahrhundert v. Chr. entstand das armenische Königreich im Hochland zwischen Persien und dem Römischen Reich. Als erstes Land der Welt wurde Armenien um das Jahr 301 nach Christus offiziell christlich, etablierte ein eigenes Alphabet und entwickelte eine eigene Kultur. Über Jahrtausende musste das Land jedoch immer wieder Fremdherrschaften und Zerstörungen durch Perser, Römer, Byzantiner, Araber, Seldschuken, Mongolen und Osmanen erdulden. Das dramatischste Kapitel war der Völkermord an den Armeniern von 1915 bis 1918 unter osmanischer Herrschaft, bei dem etwa 1,5 Millionen Menschen ums Leben kamen. Nur der nordöstliche Teil Armeniens blieb als Sowjetrepublik bestehen.

Jerewan ist eine der ältesten Städte der Welt. Sie wurde im Jahr 782 v. Chr. gegründet, rund 30 Jahre vor der Gründung Roms. Doch nicht nur Spaziergänge zwischen historischen Gebäuden der Hauptstadt, auch das Reisen über Land mit kilometerweiten Ausblicken über bergige Landschaften, Besuche verschlafener Dörfer und Fahrten über beschauliche Landstraßen machen eine Reise nach Armenien unvergesslich.

Deshalb hat sich Roger Biosca auf den Weg in das asiatische Land gemacht. Er stammt aus Barcelona, lebt inzwischen jedoch in seinem historischen Haus auf dem Land nördlich der katalanischen Hauptstadt. Der passionierte Fotograf unternimmt immer wieder Reisen in ferne Länder, um Land und Leute kennenzulernen und lohnende Motive für seine Kamera zu finden.

Auf seiner Armenien-Reise fotografierte er nicht nur Landschaften und Gebäude, sondern auch alte Lastwagen aus der Zeit der Sowjetunion. Nicht wenige der betagten Nutzfahrzeuge der Marken ZIL, GAZ, UAZ, Ural, MAZ und KrAZ sind dort noch im Einsatz oder warten abgestellt auf ihr Schicksal. Roger hat viele Fotos dieser Lastwagen gemacht, von denen wir in diesem Beitrag einige zeigen, um sie wenigstens auf diese Weise der Nachwelt zu erhalten.

MAZ (Minski Awtomobilny Sawod) ist einer der ältesten und größten Betriebe in Belarus. Im Zweiten Weltkrieg begannen die deutschen Besatzer mit dem Bau einer Lkw-Fabrik in Minsk. Nach der Rückeroberung durch die Rote Armee im Jahr 1944 wurde die Fabrik zur Montage westalliierter Lkw genutzt. 1947 begann man mit der Produktion von Lastwagen der Baureihe 200, die weitgehend dem russischen JAZ 200 entsprachen. Auf dem Foto ist ein Kipper des Typs MAZ 5549 zu sehen, der zur Baureihe 500 gehörte. Die Frontlenker dieser Baureihe lösten Anfang der 1960er Jahre die Haubenwagen der Baureihe 200 ab.
Unter den Überbleibseln sowjetischer Lkw in Armenien begegnen einem am häufigsten Fahrzeuge der Marken ZIL (ЗИЛ) und GAZ (ГАЗ). Bei der Entwicklung ihrer Haubenwagen hatten sich beide Marken stark am Design US-amerikanischer Modelle orientiert. Auf dem Bild ist ein ZIL 130 zu sehen, der von 1962 bis 1994 im Werk Sawod imeni Lichatschowa im Süden Moskaus gebaut wurde.
Insgesamt wurden 3.388.312 Exemplare des ZIL 130 produziert, bevor die Fertigung 1994 im Moskauer ZIL-Werk eingestellt wurde. Anschließend wurde das Modell unter anderen Bezeichnungen noch bis etwa 2010/2011 in verschiedenen Werken weitergebaut, was die Gesamtstückzahl jedoch nicht wesentlich erhöhte. Dem auf dem Foto abgebildeten Exemplar hatte man offenbar moderne LED-Scheinwerfer spendiert.
Dieser ZIL trägt einen Bären als Kühlerfigur, der aber eigentlich von JaAZ (Jaroslawski Awtomobilny Sawod) stammt, der Lkw-Marke, von der KrAZ seine ersten Modelle übernahm. Denn was für die US-Marke Mack der Bulldog bedeutet, war für die Marke JaAZ der Bär, ein Sinnbild Russlands, das sowohl Stärke als auch Wildheit symbolisiert.
Etwas ramponiert wartet dieser ZIL 130 am Rande eines Dorfes irgendwo in Armenien auf eine ungewisse Zukunft.
GAZ (russisch: ГАЗ) ist ein russischer Kraftfahrzeughersteller mit Sitz in Nischni Nowgorod (von 1932 bis 1990 Gorki genannt). Der GAZ-53 ähnelt dem ZIL 130, die beiden Lkw unterscheiden sich jedoch voneinander, vor allem durch den Kühlergrill.
Der GAZ-53 wurde von 1961 bis 1993 in verschiedenen Varianten produziert und fand weite Verbreitung in der Sowjetunion. Insgesamt wurden über vier Millionen Exemplare produziert. Damit gilt der GAZ-53 als der weltweit meistgebaute Lkw aller Zeiten.
In Armenien stieß Roger Biosca immer wieder auf mehr oder weniger gut erhaltene Exemplare des GAZ-53. Manche waren noch in Betrieb, andere waren bereits abgestellt und abgemeldet. Die klassische Farbe Babyblau dominierte, wenn auch bisweilen überlackiert, beispielsweise in Olivgrün.
Neben dem GAZ-53 mit Achtzylinder-Benzinmotor gab es auch den GAZ-52 mit Sechszylinder-Benzinmotor. Äußerlich sind kaum Unterschiede erkennbar, lediglich die Felgen sind verschieden: Der GAZ-52 hatte Felgen mit sechs großen Aussparungen, der GAZ-53 Felgen mit nur drei großen Löchern. Da Lochkreis und Felgengröße identisch waren, wurden Räder oft zwischen beiden Modellen ausgetauscht, was die Zuverlässigkeit dieses Merkmals einschränkt. Dennoch ist davon auszugehen, dass die vier GAZ-Fotos in dieser Bildfolge den Typ 53 zeigen.
In Armenien entdeckte Roger auch einige schwere Lkw des ukrainischen Herstellers KrAZ (КрАЗ) aus Krementschuk am Dnepr. Die ersten dreiachsigen Schwerlastwagen dieser Marke verließen 1959 das Werk. Als Motorisierung dienten 180-PS-Zweitakter nach GMC-Lizenz. Es gab die Typen 214 (Zugmaschine), 219 (Pritschenwagen), 221 (Sattelschlepper) und 222 (Kipper). Die Fahrzeuge waren bereits seit 1956 baugleich unter dem Namen JaAZ im russischen Jaroslawl gebaut worden. Mitte der 1960er Jahre gab es ein Update des KrAZ mit stärkeren V6-, V8- und V12-Viertaktmotoren und neuen Typenbezeichnungen von 255 bis 258. Äußerlich hatte sich allerdings nichts geändert: Die urigen Kolosse hatten noch immer freistehende Frontscheinwerfer.
Auf diesem Foto ist ein KrAZ 256 Muldenkipper zu sehen, der ab 1977 gebaut wurde. Er ist an den eckigen Lampengehäusen zu erkennen, die nun die freistehenden Scheinwerfer ersetzt hatten. Die Stoßfänger und Zusatzlampen sind bei den Lastwagen auf beiden Fotos nicht original.
Sein Kennzeichen war noch vorhanden, trotzdem machte der Kleintransporter UAZ 452 keinen wirklich lebendigen Eindruck neben seinem Leidensgenossen, einem GAZ 51, dessen Allrad-Variante GAZ 63 hieß. Der UAZ 452 wurde von 1965 bis 1985 produziert, die GAZ-Typen 51 und 63 von 1946 bis 1975.
Auch dieses entsorgte Paar wird vermutlich niemand mehr ins Leben zurückholen: ein UAZ 452 und ein ZIL 130. Um ihnen die letzte Ehre zu erweisen, sind beide Kandidaten nachfolgend noch einmal einzeln abgebildet.
Irgendjemand hat sich bei diesem Kleinlastwagen der Marke UAZ an einer Art Camouflage-Lackierung versucht, hinter der man sich jedoch kaum verstecken kann.
Das Abschlussfoto dieses Berichts zeigt einen ZIL 130 auf seinem letzten Abstellplatz. Er wird dort möglicherweise noch einige Jahre verbringen, bis sein Schrottwert die Kosten für den Abtransport übersteigt.

Fotos: Roger Biosca – Text: Steve St.Schmidt

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