Die Volvo-Chronik
Seite 1
Von Christoph Büch (Berlin 2024)
Die Ursprünge
Das lateinische Verb volvere bedeutet rollen, demnach heißt volvo "ich rolle". 1880 tauchte der Begriff erstmals als Handelsmarke auf, als ein schwedischer Rollen- und Kugellagerfabrikant sein Unternehmen "Volvo" nannte. Die Firma belieferte unter anderem belgische und französische Automobil-Hersteller. Im Jahr 1915 wurde das relativ kleine Unternehmen von der schon damals über Skandinavien hinaus bekannten Göteborger Aktiengesellschaft "AB Svenska Kullager Fabriken" (SKF) übernommen, die sich im Zeitalter der Industrialisierung zu einem international agierenden Marktführer entwickelte. Noch im Jahr der Übernahme ließ man sich bei SKF ein Kugellager mit der Bezeichnung Volvo patentieren. Gleichzeitig begann man unter diesem Namen mit dem Bau von Fahrzeugen, zunächst nur zur Erprobung der gerade neu entwickelten Wälzlager.
Schon bald hatten die beiden jungen SKF-Mitarbeiter Assar Gabrielsson und Gustaf Larson das Potential erblickt, das in der Herstellung selbstfahrender Vehikel steckte. 1924 gründeten sie die Tochtergesellschaft "Volvo Personenvagnar" (Volvo Cars). Im Herbst begannen die Konstruktionsarbeiten für das erste Fahrzeug und 1926 wurden die ersten Prototypen erprobt. Parallel zu den Personenwagen entstand auch ein erstes Lkw-Modell, das ab 1928 unter der Bezeichnung „LV 1“ produziert wurde. Zunächst entstanden 500 Exemplare mit der Perspektive, sie innerhalb von zwei Jahren abzusetzen. Doch schon innerhalb von sechs Monaten waren sie ausverkauft, sodass Volvo schneller als erwartet den „LV 2“ folgen ließ. Die Lastwagen beider Serien waren mit einem 28-PS-Vierzylinder-Benzinmotor ausgerüstet. Die Nutzlast lag mit anderthalb Tonnen bei der Hälfte des Gesamtgewichts. Ein Dreigang-Getriebe ermöglichte Geschwindigkeiten von bis zu 50 Stundenkilometern. Zunächst bot Volvo keine eigenen Fahrerhäuser an. Die Kunden konnten aber entweder werksseitig ein Fahrerhaus des Herstellers Åtvidaberg montieren lassen oder auch einen Karosseriebauer eigener Wahl beauftragen.
Die Lastwagen der Serie LV 2 hatten eine Spurweite von 145 Zentimetern, im Gegensatz den nur 130 Zentimetern bei der ersten Serie. Dies war ein entscheidender Vorteil, denn die damals den Straßenverkehr dominierenden Pferdefuhrwerke mit ihrer Spurbreite von etwa 150 Zentimetern hinterließen tiefe Furchen in den noch unbefestigten Straßen. Mit diesem Problem hatten die schmalspurigen Fahrzeuge der ersten Serie mitunter schwer zu kämpfen.
Auch der LV 2 war ein Erfolg. Beide Modelle zusammen fanden fast tausend Abnehmer. Die kleinen Lastwagen erwiesen sich als zuverlässige und robuste Fahrzeuge.
Die dreißiger Jahre
Die zunehmende Konkurrenz durch Importe von Chevrolet und Ford, die mit moderneren Sechszylinder-Motoren ausgerüstet waren, führte bei Volvo zur Konstruktion eines eigenen Sechszylinders. Mit ihm rüstete man ab 1929 ein zunächst als „LV 3“ bezeichnetes Fahrzeug aus. Schon bald gab es aber neue Typenbezeichnungen: Die Modelle mit dem 28-PS-Vierzylinder wurden zur Serie LV 40, die Sechszylinder-Modelle zu den Serien LV 60 und LV 65. Der neue Motor leistete bei einem Hubraum von drei Litern 55 oder wahlweise 65 PS und das Gesamtgewicht erhöhte sich beim Modell LV 65 auf 4,7 Tonnen. Beibehalten wurden Holzspeichenräder und die Kabine vom Hersteller Åtvidaberg. Die Einführung eines Viergang-Getriebes war fortschrittlich, aber es war damals noch unsynchronisiert. Der Sechszylinder-Motor bewährte sich und die LV-60-Modelle verkauften sich von 1929 bis 1932 in einer Stückzahl von 2970 Exemplaren.
Das Lkw-Angebot bei Volvo für die leichten Gewichtsklassen bestand in den frühen 1930er Jahren aus den Modellreihen LV 71 und LV 73. Mit längerem Radstand, aber sonst identisch, gab es außerdem die Reihen LV 72 und LV 74. Die mechanischen Komponenten dieser Lastwagen waren konventionell: Vierzylinder-Motoren mit Seitenventil, Vierganggetriebe und eine einfach untersetzte Hinterachse. Beide Baureihen erwiesen sich als sehr beliebt und verhalfen Volvo auch zu ersten Exporterfolgen.
Volvos Hauptkonkurrent auf dem schwedischen Markt war Scania-Vabis aus Södertälje. Die Motoren des Mitbewerbers waren leistungsfähiger und moderner als die Volvo-Konstruktionen, sodass man in Göteborg einen neuen Sechszylinder mit nunmehr 4094 ccm und einer Leistung von 65 PS oder wahlweise 75 PS bei 2500 U/min entwickelte. Das Aggregat wurde mit einem neuen Getriebe kombiniert. Diesen Antrieb erhielten die Baureihen LV 66 und LV 68, die mit verlängertem Rahmen auch als Dreiachser erhältlich waren.
Hersteller wie Mercedes, MAN, Leyland und Dennis setzten Anfang der 1930er Jahre verstärkt auf Dieselmotoren. Volvo hatte keine Kapazitäten für die Konstruktion eines Dieselmotors und griff deshalb auf die Entwicklung des schwedischen Ingenieurs Jonas Hesselman zurück, der einen Benzinmotor mit Direkteinspritzung erfunden hatte. Dieser Motor konnte auch mit Schweröl betrieben werden. Seine Leistung betrug 75 bis 90 PS beim Sechszylinder mit vier Litern Hubraum. Für dieses Aggregat war eine Verlängerung der Motorhaube erforderlich. Durchaus leistungsfähig und solide in der Funktion, erreichte der Hesselman-Motor aber nicht den niedrigen Verbrauch von Dieselmotoren und die Rauchentwicklung war beträchtlich.
Volvo schickte 1934 zwei Lastwagen mit Hesselman-Motoren auf die sowjetische Diesel-Wettfahrt Moskau-Tiflis. Die Modelle LV 66 und LV 70 bewältigten die Strecke von 5000 Kilometern unter winterlichen Bedingungen zwar pannenfrei, konnten aber in Bezug auf Drehmoment und Verbrauch mit der Diesel-Konkurrenz nicht mithalten.
Konzipiert vor allem als Bus-Fahrgestell, stellte Volvo 1933 mit dem Modell LV 75 einen ersten Frontlenker vor. Er war zwar auch als Lkw im Angebot, erreichte aber nicht die Popularität der konventionellen Haubenwagen. Von 1933 bis 1935 wurden 308 Exemplare produziert.