Die türkische BMC-Chronik
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Von Steve St.Schmidt (Berlin 2024)
Die zweite Profesyonel-Generation, der Tuğra und Militärfahrzeuge
Im Jahr 2008 erhielt der Profesyonel ein neues Frontdesign mit größeren Öffnungen für die Motorkühlung, LED-Scheinwerfern und optimierten Einstiegsstufen.
Alle Expansionspläne wurden durchkreuzt, als die türkische Muttergesellschaft, die Çukurova Holding, massiv verschuldet war und ihre Vermögenswerte, darunter auch BMC, im Mai 2013 vom TMSF, dem Einlagensicherungsfonds der türkischen Regierung, beschlagnahmt wurden. Türkische Medien berichteten, dass der Hauptaktionär der Çukurova Holding, Mehmet Emin Karamehmet, noch ausstehende Schulden in Höhe von 75 Millionen von insgesamt 440 Millionen US-Dollar nicht beglichen habe.
Daraufhin musste BMC kurzfristig die gesamte Produktion einstellen, bis 2014 nach einer Ausschreibung des TMSF und einem ultimativen Angebot von 751 Millionen türkischen Lira eine Partnerschaft mit QAFIC, dem Industriekomitee der katharischen Streitkräfte, zustande kam. Der türkische Staatspräsident Erdogan hatte vermittelt. 50,1 Prozent gehörten nun den Erdoğan-Vertrauten Ethem Sancak und Talip Öztürk, 49,9 Prozent den Katharern, die 300 Millionen Dollar in das Unternehmen investierten.
Nach der Beschlagnahmung durch die Regierung baute BMC in deren Auftrag weiterhin Militärfahrzeuge für die türkischen Streitkräfte und für den Export. Dazu gehörten schwere Lastkraftwagen für den Transport von Panzern, Wasserwerfer und andere Fahrzeuge für die Aufstandsbekämpfung sowie sogenannte "Hidden Armoured Buses", d.h. als Linienbus getarnte Kampffahrzeuge, und der Kirpi MRAP.
Auch der türkische Kampfpanzer Altay sollte bei BMC gebaut werden, die Serienproduktion ist aber nach der Auslieferung von zwei Exemplaren an die türkischen Streitkräfte im Jahr 2023 nicht aufgenommen worden, soll aber 2025 beginnen. Militärisch erfolgreich ist dagegen der Kirpi MRAP. Kirpi bedeutet Igel, MRAP ist die Abkürzung für "Mine Resistant Ambush Protected vehicle", also minenresistentes, hinterhaltsgeschütztes Fahrzeug.
Der Kirpi verfügt über Standard- und Zusatzpanzerung zum Schutz gegen Beschuss, während sein V-förmiger Unterboden und die aus einem Stück gefertigte Schale, das so genannte Monocoque, die Insassen vor Landminen und Sprengfallen schützen. Es wird berichtet, dass die Verluste der türkischen Armee durch den Kirpi erheblich reduziert werden konnten. Er wurde bereits bei Gefechten an der syrischen Grenze, in Libyen und von der ukrainischen Armee eingesetzt. Den Kirpi gibt es als 4x4 und als 6x6, seit 2018 bereits in der zweiten Generation. Hinzu kommen der Amazon und der Vuran, beides gepanzerte Radfahrzeuge, die äußerlich dem Kirpi ähneln.
Außer Lastwagen und Militärfahrzeugen bietet BMC auch Busse von 8,5 bis 12 Meter Länge bis hin zu 18 Meter langen Gelenkbussen und 14 Meter langen Vorfeldbussen für Flughäfen an. Sie werden in Serie produziert und sind mit drei Antriebsvarianten erhältlich: Diesel, Erdgas und Elektroantrieb.
2018 präsentierte BMC auf der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover eine völlig neue Generation schwerer Lkw, den Tuğra. Verschiedene Varianten des eigenwillig gestalteten Trucks wurden mit großem Pomp enthüllt. Zu treibender elektronischer Musik und flankiert von vier weiblichen Schönheiten glitten schwarze Stoffbahnen zu Boden, die zuvor die Fahrzeuge verhüllt hatten. BMC-Vorstandsmitglied Taha Yasin Öztürk stellte die neue Kreation der versammelten Presse vor und erklärte, dass die Bedeutung des Namens Tuğra auf "Das Siegel des Kaisers" oder "Das Siegel des Sultans" zurückgehe. Er fügte hinzu, dass der Tuğra mit seinem ergonomischen Design einen angenehmen Lebensraum und Fahrkomfort garantiere und mit seinen modernen Armaturen, TFT-Display, Bluetooth und Navigationsfunktionen im 7-Zoll-Multimedia-Bereich, großzügigem Stauraum mit Kühlschrank in der Kabine, multifunktionalem Fahrersitz und Multifunktionslenkrad der ideale Fernverkehrs-Lkw für Tag und Nacht sei. Die maximale Leistung des Euro-6-Motors wurde mit 460 PS (maximales Drehmoment 2150 Nm) angegeben. Der Tuğra ist mit einem 12-Gang-Automatikgetriebe von ZF oder optional mit einem 16-Gang-Schaltgetriebe ausgestattet. Zwei Kraftstofftanks für insgesamt 680 Liter Diesel befinden sich auf beiden Seiten des Fahrzeugs.
Für rund 90.000 Euro wird der Tuğra als Sattelzugmaschine "BMC Elegance Tuğra TGR 1846" auch in den Niederlanden von Mobility Service Elst (südlich von Arnheim) angeboten. Dort befindet sich auch "BMC Truck&Bus NL", zusammen bilden die Unternehmen das Mobility Center Benelux BV.
Bis heute hat BMC mehr als 300.000 Fahrzeuge produziert und Nutzfahrzeuge in 80 Länder und Militärfahrzeuge in 16 Länder exportiert. BMC ist Teil des Togg-Konsortiums (Türkiye’nin Otomobili Girişim Grubu), das laut Ankündigung des türkischen Staatspräsidenten auch einen türkischen Personenwagen produzieren wird.
Eine Besonderheit bei BMC war von Anfang an, dass viele Aufbauten selbst produziert und nicht, wie bei anderen europäischen Herstellern üblich, bei Aufbauherstellern in Auftrag gegeben wurden. So entstanden beispielsweise Feuerwehrfahrzeuge, Kipper, Tankwagen, Betonmischer, Schulbusse, behindertengerechte Linienbusse, Müllfahrzeuge und Militärlastwagen mit MG-Luke komplett im eigenen Werk.
Im Mai 2021 verkauften Sancak und Öztürk ihren Anteil von 50,1 Prozent für 480 Millionen Dollar an die türkische Tosyalı Holding, einen führenden Stahlproduzenten, der ebenfalls enge Verbindungen zu Präsident Erdoğan hat.
Mit der Beschlagnahme von BMC im Jahr 2014 hatten schwierige Zeiten begonnen, die mit den Machenschaften einiger der wechselnden Anteilseigner des Unternehmens zusammenhingen. Türkische Medien veröffentlichten erstaunliche Details, die aufdeckten, mit welchen Finanztricks sich einige Beteiligte bereichert hatten. Der Bau einer großen Produktionsstätte für den türkischen Panzer Altay in Karasu, Sakarya im Nordwesten der Türkei wurde aus finanziellen Gründen zunächst gestoppt, ein Rückbau musste vorgenommen werden. Die katharischen Investoren zeigten sich unzufrieden, da sie kein Interesse an zivilen Produkten zeigten und es zeitweise unklar war, ob sich die Lkw-Produktion im Werk Izmir überhaupt noch lohnen würde. Inzwischen scheint es wieder aufwärts zu gehen, die Produktion von Militärfahrzeugen läuft stabil und neue Lkw-Modelle sollen demnächst auf den Markt kommen. Schade nur, dass die Fahrzeuge der Tuğra-Baureihe auf türkischen Straßen nicht oft zu sehen sind.
Weblinks:
https://www5.tbmm.gov.tr/develop/owa/genel_kurul.cl_getir?pEid=107717
https://tr.wikipedia.org/wiki/BMC_(Türkiye)
https://magazinulasim.com/Konu-bmc-fatih.html
https://www.hurriyet.com.tr/yazarlar/sefer-levent/altay-tankinda-seri-uretim-2025te-42343931
https://tr.wikipedia.org/wiki/BMC_TM_150
https://www.wikiwand.com/tr/BMC_TM_150
https://tr.wikipedia.org/wiki/BMC_Yavuz
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