Die Scania-Chronik
Seite 3
Von Christoph Büch und Steve St.Schmidt (Berlin 2023)
Neue Hauber ab 1958 mit eingebauten Scheinwerfern und erste Frontlenker ab 1963
1958 kamen neue Scania-Hauber auf den Markt, bei denen die Frontscheinwerfer in die Kotflügel integriert waren: die Typen L 55 und L 75, die es auch mit Nachlaufachse als LS 55 und LS 75 gab und deren Fahrerhäuser als erste in Europa auf Gummipuffern gelagert waren. Neu waren auch seitlich an der Motorhaube angebrachte Typenbezeichnungen. Ab 1960 kam eine Version mit 6x4-Antrieb unter der Bezeichnung LT 75 hinzu, wobei das T für Tandem-Antrieb stand. Für die gesamte Baureihe gab es eine neue Motorengeneration: den Vierzylinder D7 mit 7,3 Litern Hubraum und 120 PS für den Typ L 55 und den Sechszylinder D 10 mit 10,3 Litern Hubraum und 165 PS für den Typ L 75. Die Aggregate waren von Anfang an für die Abgas-Turboaufladung konzipiert. Bereits zehn Jahre zuvor hatte man begonnen, aufgeladene Motoren für Schiffe und Schienenbusse zu bauen. Die Turboversion des D 10 mit 205 PS kam dann ab Februar 1961 auf den Markt, bei den Fahrzeugen erkennbar an einem „Super“-Schild auf dem Kühlergrill, denn Turbolader hießen damals noch „Supercharger“. Scania-Vabis gehörte zusammen mit Cummins und Volvo zu den Pionieren im Bau von Nutzfahrzeugmotoren mit Abgasaufladung. Mit seinen modernen und zuverlässigen Turbos stand das Unternehmen europaweit an der Spitze der technischen Entwicklung. Nach und nach zogen alle anderen Hersteller nach. Doch das dauerte bis weit in die siebziger und achtziger Jahre.
Ab Mitte der 50er Jahre kam Südamerika als weiterer Exportmarkt hinzu. Produkte aus Södertälje bewährten sich in Argentinien und Brasilien. 1956 liefen bereits 600 Scania Vabis-Lkw in Argentinien, und Anfang der sechziger Jahre errichteten die Schweden dort auch ein Montagewerk. In Brasilien wurde 1957 eine Tochtergesellschaft gegründet, die bis 1962 ein komplettes Werk für die Produktion von Lkw und Bussen errichtete.
Scania-Vabis hatte bereits während des Kriegs Militärfahrzeuge für die schwedische Armee hergestellt, und auch in den folgenden Jahrzehnten erhielten die Landstreitkräfte entsprechende Sonderanfertigungen. Ein Beispiel ist der dreiachsige Allrad-Lkw LA 82 aus dem Jahr 1960, von dem 440 Exemplare geliefert wurden. Wegen seiner schrägen Motorhaube erhielt er den Spitznamen "Ameisenbär". Seine robuste Bauweise sorgte dafür, dass ein Großteil der gelieferten Fahrzeuge auch nach 40 Jahren noch einsatzbereit war.
Aus dem L 55 wurde 1962 der L 56 mit 140, dann 145 PS, aus dem L 75 der L 76 mit 180, dann 195 PS (mit Turbo 220 PS). Im Jahr 1963 kam noch der L 66 hinzu, der vor allem für den Export gedacht war. Mit seinem verstärkten Rahmen war er speziell für Betontransporte gedacht. Die gesamte Baureihe erhielt eine Zweikreis-Bremsanlage und serienmäßig eine Servolenkung. Bis 1962 verließen 15.270 Exemplare der bis zu 22 Tonnen schweren Scania-Vabis-Hauber das Werk. Sie bildeten die Basis einer Modellfamilie, die als L 110 (ab 1968) und L 111 (ab 1974) bis 1980 produziert wurde, als die Fahrzeuge statt Scania-Vabis längst nur noch Scania hießen.
Die sechziger Jahre waren für Scania-Vabis eine Zeit erfreulichen Aufschwungs. Von 1960 bis 1966 stieg die Jahresproduktion von 6.000 auf 11.000 Fahrzeuge. Dementsprechend wurden die Fabrikanlagen in Södertälje deutlich vergrößert.
Die Straßenverkehrsgesetze der meisten europäischen Länder sahen damals neue Längenbegrenzungen für Lastzüge vor. Um auf den europäischen Märkten Fuß zu fassen, entwickelten die Ingenieure von Scania Vabis einen neuen Frontlenker, nachdem das Unternehmen seit den 1930er Jahren ausschließlich Haubenfahrzeuge im Programm hatte. So entstand 1963 der legendäre Typ LB 76, wobei das L nach wie vor für Lastwagen (schwedisch lastvagn) stand und das B von der bereits früher verwendeten Bezeichnung „Bulldog“ übernommen wurde.
Von Anfang an legte man in Södertälje großen Wert auf Sicherheit und Haltbarkeit. Auch das neue Fahrerhaus unterlag strengen Stabilitätsanforderungen. In der damaligen Werbung krachte ein massiver Stahlkörper auf ein Scania-Vabis-Fahrerhaus, ohne es nennenswert zu deformieren. Der im Stil der Zeit rundlich gezeichnete LB 76 wurde ein großer Erfolg, auch wenn er noch nicht mit einem kippbaren Fahrerhaus punkten konnte. Fast 50 Prozent der Produktion gingen in den Export. Um Engpässe zu vermeiden, wurde 1964 ein Zweigwerk im niederländischen Zwolle errichtet. Ab 1966 war Scania-Vabis auch auf dem britischen Markt vertreten.
Das Jahr 1964 brachte eine Leistungssteigerung des 11-Liter-Motors durch eine verbesserte Einspritzpumpe. In der Turboversion leistete das Aggregat nun 240 PS, drei Jahre später sogar 260 PS.
Scania-Vabis-Lkw der leichten Klasse waren zunächst ungewohnt. Die Präsentation des Modells L 36 im Jahr 1964 war daher ein echtes Novum. Der für ein Gesamtgewicht von bis zu 11,2 Tonnen ausgelegte Neue war mit einem 5,2-Liter-Vierzylinder ausgestattet, der als Saugdiesel 95 PS und als Turbo 120 PS leistete. Äußerlich war er an einer deutlich verkürzten Motorhaube zu erkennen, die ihn im innerstädtischen Verteilerverkehr wendiger machte.